Die Geschichte der (Mainzer) Leineweber
Die Anfänge in Hannover
Als Gründer der Tanzgruppe, die sich „die Leineweber“ nennt, gilt Hartmut, der in den 1970er Jahren in Hannover studierte. Auf Wochenendseminaren war er in Kontakt mit traditionellen deutschen Volkstänzen gekommen, für die er schnell ein großes Interesse entwickelte. Er begann, sich mit Gleichgesinnten regelmäßig zum gemeinsamen Musizieren und Tanzen zu treffen.
Dabei fand Hartmut bald zu einem eigenen Stil. Anders als in den Seminaren, in denen ein Tanzleiter die Regeln vorgab, wurde die Erarbeitung der Tänze zur Gemeinschaftsaufgabe, bei der jedes einzelne Mitglied der Gruppe Mitverantwortung übernahm.
Die Gruppe hatte auch einen politischen Anspruch: so gab sie sich den Namen „Zunft der Leineweber“, angelehnt an das Spottlied „Die saubere Zunft der Leineweber“. Damit solidarisierte sie sich mit den als unehrenhaft verspotteten ärmsten Handwerkern. Auch das ursprüngliche Logo der Gruppe, ein Saiteninstrument mit einer strahlenden Sonne, die damals das Symbol der Anti-Atomkraft-Bewegung war, zeugt von diesem Anspruch.

Leinewebertanz in der VHS Mainz
Dass es bald auch in Mainz eine Tanzgruppe gab, die sich „Leineweber“ nannte, ist Hartmuts Umzug an den Rhein 1980 zu verdanken. Gemeinsam mit Erika, der Leiterin einer bestehenden Volkstanzgruppe, realisierte er auch hier seine Vorstellungen vom Mitmachtanzen.
In der städtischen Volkshochschule fand man einen geeigneten Rahmen, um Kontakte herzustellen und Räumlichkeiten zu organisieren. Mit Unterstützung der VHS baute sich die Gruppe in der Alten Ziegelei in Bretzenheim einen Raum aus zu einem Tanzraum mit Schwingboden. Als „Musik- und Volkstanzkurs“, später „Musik- und Tanzwerkstatt“, wurden die Veranstaltungen der Mainzer Leineweber in das VHS-Programm aufgenommen.
Hartmut verließ Mainz 1983, und andere engagierte Tänzer und Tänzerinnen aus der Gruppe übernahmen Verantwortung für die Fortführung des Leineweber-Tanzens. In vier Jahrzehnten wirkten zahlreiche Personen aktiv mit an der Gestaltung der VHS-Kurse. Nicht nur die im VHS-Programm genannten Kursleitenden, sondern auch viele erfahrene Teilnehmer und Teilnehmerinnen arbeiteten mit an unterschiedlichen Konzepten und erklärten Tänze.
Tanzfeste
Das erste eigene große Leineweberfest in Mainz fand im Sommer 1983 auf dem Gelände der Alten Ziegelei mit vielen Gästen aus Hannover statt. In der Folge etablierten sich jährlich zwei Tanzfeste an Rosenmontag und im Herbst. Für die Feste im Herbst nutzten sie über viele Jahre den Saal des Internationalen Studentenwohnheims auf dem Uni-Campus. Später fanden alle Feste im Rahmen des VHS-Programms im Tanzraum und der Scheune der Alten Ziegelei statt.
Auf den Festen werden die Kontakte zu anderen Tanzgruppen aus dem Rhein-Main-Gebiet gepflegt. Man tauscht Tänze und Tanzerklärungen aus, wodurch sich das Repertoire an Tänzen, aus dem die Leineweber schöpfen können, ständig erweitert.
Das Tanzrepertoire wird international
Das anfangs an der deutschen Volkstanztradition ausgerichtete Repertoire wurde bald auf internationale Tänze („Folktänze“) ausgeweitet. Im Laufe der Zeit wurden internationale Tänze zum eigentlichen Inhalt des Leineweber-Tanzens. Tänzerinnen und Tänzer aus Israel, Frankreich und England sowie andere Zugezogene brachten aus ihren Heimatländern oder früheren Tanzgruppen Tänze mit. Ergiebige Quellen für neue „alte“ Tänze waren und sind außerdem zahlreiche Tanzfeste und Workshops irgendwo in Deutschland oder auch in Nachbarländern – z. B. im dänischen Arhus oder in Gennetines, St. Chartier oder Lautenbach in Frankreich. Zu selbst organisierten Workshops luden die Mainzer Leineweber Tanzleiterinnen und Tanzleiter aus den Herkunftsländern der Tänze ein.
Das Tanzen wurde zunächst durchweg von Musikerinnen und Musikern live begleitet. Die Live-Musik war ein Element, durch das sich die Leineweber-Kurse von anderen Tanzkursen abhoben. Bald wurden aber auch technische Tonträger eingesetzt. Bis heute wird zu Live-Musik und „Konserven-Musik“ getanzt.
Umbrüche und neue Formate
Die Corona-Pandemie, die im Frühjahr 2020 begann, bedeutete auch für die Mainzer Leineweber eine Zäsur. In dem kleinen, niedrigen und schlecht zu lüftenden Tanzraum in der Alten Ziegelei war kein Tanzen mehr möglich. Doch es wurde auch in der Pandemie getanzt: in der VHS-Turnhalle, in Gemeinderäumen und unter freiem Himmel im Mainzer Volkspark – jeweils nach den Möglichkeiten der geltenden Coronabestimmungen. Im Volkspark trafen sich auch Musikerinnen und Musiker, um gemeinsam zu spielen und zu üben.
Während der Pandemie renovierte die VHS den Tanzraum in der Ziegelei. Trotzdem entschieden sich die Leineweber, die langjährige gute Kooperation mit der VHS zu beenden und das Tanzen nun privat in Eigenregie zu organisieren, um mehr Flexibilität und Gestaltungsspielraum zu haben.
Aus den Umbrüchen der Corona-Pandemie sind bei den Leinewebern zwei Tanz- und Musikgruppen mit unterschiedlichen Schwerpunkten hervorgegangen. Die einen tanzen gerne Balkantänze mit ihren besonderen Rhythmen, die anderen bevorzugen eher französische Tänze. Gemeinsam gestaltete, jetzt aber privat organisierte Veranstaltungen sind nach wie vor die Tanzfeste an Rosenmontag und im Herbst.
Weitere Aktivitäten
Über das gemeinsame Tanzen, Musizieren und Spaßhaben und nicht zuletzt auch das „in die Kneipe gehen“ nach den Tanztreffen entstanden und entstehen vielfache Verbindungen und Freundschaften. Sie sind die Grundlage für zahlreiche weitere Aktivitäten: Ausflüge, Rad- und Wandertouren, Freizeiten, Feiern usw. Im Laufe der Jahre haben sich Wohn- und Lebensgemeinschaften gefunden.
Einladung zum ersten Leinweberfest 1978
Weil der Text teilweise schlecht zu entziffern ist, hier eine Abschrift:
DIES IST EINE E I N L A D U N G
Es geschah im Märzen des vergangenen Jahres. Ort des Geschehens war ein Volkstanzseminar im Kreisjugendheim Gailhof
Dort kamen einige Teilnehmer* zu der Erkenntnis, daß Volkstanz etwas traditionelles, etwas überliefertes aus vergangenen Jahrhunderten ist.
Zum Tanzen gehört auch eine Musik. Unsere Ur- und Ururgroßeltern konnten zum Tanzen noch keinen Plattenspieler und kein Tonband aufbauen. Deswegen mußten sich damals Spielleute mit Geige, Flöte, Laute und anderen Instrumenten hinstellen und zum Tanzen aufspielen.
Wir haben in der darauffolgenden Zeit versucht, es auch so zu machen und werden das Gefühl nicht los, daß das ganz gut geht.
Um unserer Freude darüber Ausdruck zu geben, laden wir alle ein, die irgendwo Volkstanz machen und sich dafür interessieren, zu einem unkonventionellen
„LEINEWEBER – VOLKS – TANZ – FEST“
Am Samstag, dem 18. März 1978 um 14:00
Im Raschplatzpavillion in Hannover
Wenn Ihr in Gruppen oder Rudeln kommt, gebt uns bitte Bescheid.
Vergesst nicht, kuchen mitzubringen, dann können wir auch Kaffee trinken.
Wir freuen uns über jeden der Kommt und mitmacht.
gez. Die LEINEWEBER
*(daraus entwickelten sich später die Leineweber in Hannover)
Zehn Jahre Hannoveraner Leineweber
Dieser Artikel erschien 1987 anlässlich des 10jährigen Jubiläums des Raschplatzpavillions, einem alternativen Kulturzentrum in Hannover, wo die Hannoveraner Leineweber in ihrer Anfangszeit tanzten.